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Der teuflische Guide für Reifen & Felgen
geschrieben von Vinzent Mösch
Bestes Rollverhalten, Grip & Pannenschutz

Butyl-, TPU-, oder doch  Latex-Schlauch? Was sind denn nochmal Schlauchreifen? Ist Tubeless jetzt eine riesige Sauerei oder doch  ein revolutionäres Reifensystem? Und was haben meine Laufräder damit zu tun?

Du blickst bei Reifen noch nicht ganz durch? Im Folgenden wollen wir ein bissen Klarheit schaffen. 

Der Moderne Tubeless-Reifen

Jahrzehnte lang hatte man als Radfahrer häufig zwei Laufrad-Sätze in der Garage. Das Trainingslaufrad und den super schnellen Satz fürs Rennen oder perfekte Sommertage. Leicht laufende Ceramic-Lager, eine aerodynamische Carbon Felge und natürlich geklebte  Latex Schlauchreifen.

Die meiste Zeit auf dem Rad hatte man von den Vorzügen allerdings nicht. Man kann ja nicht die gute Carbonfelge runterbremsen. Im Nassen konnte man auf Carbon zu bremsen eh vergessen. Die super schnellen Schlauchreifen lassen sich im Pannenfall am Straßenrand nicht mal eben flicken. Daher fuhr man dann doch die meiste Zeit auf schweren, nicht aerodynamischen Alu Felgen auch den schweren dafür sehr pannensicheren Trainingsreifen mit Schlauch. 

Doch mit der Scheibenbremse wurde die Tür für weitere Entwicklungen im Reifen-Laufradsystem weit aufgerissen. Die Reifen konnte damit deutlich breiter werden, weil sie nicht mehr in den doch eher schmalen Raum zwischen den Bremsarmen der Felgenbremse reinpassen musste. Felgen konnten dank dem Wegfallen der Bremsflanke an der Übergangsfläche zum Reifen ganz neu und aerodynamischer geformt werden. Außerdem war die Felge nicht mehr der Bremshitze ausgesetzt. Vincenzo Nibali war bei der 2014er Tour de France noch auf 22mm breiten Reifen unterwegs als gerade die meisten Fahrer auf als besonders breit geltende 25mm Reifen gewechselt sind. Heute werden im Peloton fast ausschließlich 28er Tubeless Reifen gefahren. Mathieu van Der Poel gewann das 2024er Paris-Roubaix auf 32mm Vittoria Corsa Pro Tubeless Reifen bei 3,5 Bar mit der höchsten Durchschnittsgeschwindigkeit jemals (47.8km/h)

Aber was genau ist denn jetzt ein Tubeless Reifen? Werfen wir hier kurz einen Blick auf folgendes Diagram:

Verschiedene Reifen und Felgensysteme, Quelle: ENVE.com 

Angefangen links mit dem klassischen geklebten Schlauchreifen, im Engl. als Tubulars bekannt. Hierbei handelt es sich um einen in sich geschlossenen Reifen, der mit Hilfe aufgepinseltem Kleber oder doppelseitigen Spezialklebeband fest mit der Felge verbunden wird. Vorteil im Rennen war, dass man problemlos auf der Felge trotz plattem Reifen weiter rollen und sicher zum Stand kommen konnte.

Gefolgt von Clincher Reifen. Der wohl am verbreitete Standard. Bei Clincher Reifen sitzt der Reifen im gehakten Felgenbett und wird von einem Schlauch aus Butyl, TPU oder Latex gefüllt. Vorteil vom Clincher ist die relativ simple Reparatur von Platten. Butyl- und TPU Schläuche lassen sich vergleichsweise einfach flicken. 

Als drittes rechts der moderne Tubeless Reifen. Dieser funktioniert Schlauch-los. Der Reifen selber hält hierbei die Luft. Im Reifen selber sollten 40-60ml Dichtmilch sein, die bei der Erstinstallation das System und im Pannenfall das Leck schnell abdichtet. 

Wir verwenden aktuell die Dichtmilch von Tufo. Hier bei sind lose Carbon-Fasern in der Dichtmilch, die sich schnell im Loch nach durchstechen des Reifens sammelt und mit der Dichtmilch die meisten Löcher souverän abdichtet. 

Darin liegt auch der große Vorteil des Tubeless-Systems. Durch das wegfallen des Schlauches lassen sich Platten durch Felgen-Aufsetzter (sog. Snakebite-Platten) vollständig vermeiden und reguläre Platten durch Durchstechen des Reifens in der Regel über die Tubeless-Milch abdichten. So kann man Tubeless-Reifen bei deutlich niedrigeren Druck fahren als den klassischen Clincher-Reifen, ohne das Pannenrisiko zu erhöhen.

Tubeless-Reifen können so auch schneller Rollen. Dabei wird das Rollverhalten durch zwei verschiedene Komponenten definiert. Zum einen durch den Rollwiderstand des Reifens: Rollt ein Reifen über eine perfekt glatte Oberfläche, verformt sich der Reifen am Kontaktpunkt zur Straße und formt sich anschließend zurück in die Ausgangsposition. Je feiner die Reifenwand und je höher der Reifendruck, desto geringer der Rollwiderstand. Aus diesen Tests kommt der Mythos, dass ein hoher Reifendruck einen niedrigeren Rollwiderstand haben.

Da kommt allerdings die zweite Komponente ins Spiel. Wird nämlich nicht auf einer perfekt glatten Oberfläche sondern auf unregelmäßig rauem Asphalt getestet, bietet sich ein anderes Bild:

Gesamter Rollwiderstand aus Verlusten durch Karkasse und Impedanz Quelle: silca.com

Hier ist in Dunkel-Blau das Testresultat eines Reifens in Laborbedingungen gemessen. Die Hell-Blauen Datenpunkte kommen aus einer Messung auf echtem Asphalt. Bis zu einem Kritischen Punkt stimmen diese beiden Messungen noch überein bis schlagartig der Widerstand deutlich anwächst. Ab diesem Punkt verliert der Reifen bei mehr Luftdruck viel Energie durch mechanische Impedanz. Ist der Reifedruck zu hoch wird das System aus Fahrer und Fahrrad deutlich stärker aus der Bewegung nach vorn in Sprünge auf und ab versetzt und verliert dadurch Energie. 

Hierbei auffallend ist, dass die Kurve des Rollwiderstands nach diesem kritischen Punkt steiler ansteigt, als sie vorher gefallen ist. Das bedeutet, dass es besser ist, ein halbes Bar zu wenig als ein halbes Bar zu viel im Reifen zu haben, wenn man in der nähe von diesem Punkt ist. 

Die Blaue Messung wurde jedoch auf sehr gutem Asphalt durchgeführt. Testet man den Rollwiderstand des gleichen Reifens nun auch auf schlechteren Straßen, ist der Effekt der Impedanz noch größer:

Kritische Reifendruck auf verschiedenem Straßenbelag. Quelle: silca.com

Hierbei ist die grüne Messung neuer Asphalt, die gelbe Messung grober Asphalt und die Rote Messung sehr rauer Asphalt. Hier sieht man gut, dass der Kritische Punkt bei dem die Impedanz-Verluste überhand gewinnen niedriger liegt, desto schlechter der Straßenbelag ist.  

Zum Thema Reifendruck im Tubelessreifen werden wir in Zukunft aber nochmal ausführlicher Schreiben, da Offroad auf Gravel noch andere Punkte zu beachten sind.

So verliert man schnell sehr viel Zeit auf den Streckenabschnitten mit schlechtem Asphalt durch zu hohem Luftdruck verglichen mit der gewonnen Zeit dank hohem Luftdruck auf gutem Asphalt. Aber neben dem niedrigen Rollwiderstand haben breite Tubelessreifen bei einem niedrigerem Druck noch weitere Vorteile. Durch größerer Auflagefläche und einem Reifen, der sich besser an die Straße anschmiegt ist der Kurvengrip und die Bremsleistung des Reifens deutlich besser. 

Der wichtigste Vorteil ist allerdings der riesige Mehrgewinn im Komfort. Die breiten Tubelessreifen bei geringen Druck schlucken viel der Straßenunebenheiten die nicht von der Haltemuskulatur aufgenommen werden müssen. So ermüdet man nicht so schnell und kann auch in den späteren Stunden einer Ausfahrt höhere Leistungen treten. 

Außerdem kann man die Vorzüge des besten Reifensystems nicht nur an den seltenen Wettkampf- oder Schönwetter-Tagen sondern auch im Training genießen! Einfluss der Felge auf den Reifen

Wie aber beeinflusst die Felge den Reifen? Blicken wir nochmal zurück auf das erste Diagramm. Hier sind nicht nur die Reifen  unterschiedlich sondern auch die dazu passende Felge.

Verschiedene Reifen und Felgensysteme, Quelle: ENVE.com 

Eine Felge für Schlauchreifen hat keine Felgenhörner nur ein Teilkreis-förmiges Felgenbett. Hierbei wird wie scho gesagt der Reifen auf die Felge aufgeklebt. Dadurch ist eine Schlauchreifen-Felge auch nur mit Schlauchreifen kompatibel.

Clincher und Tubeless-Ready Felgen gleichen sich bis auf ein kleines Detail. Beide haben ein Felgenhorn in den der Reifen einhakt. Tubeless-Ready Felge ein haben einen tieferen Kanal im Felgenbett. Dieser erleichtert die Montage der Reifen. 

Warum Felgen immer breite werden

Parallel zu den Reifen sind auch die Felgen gewachsen. Pogacar hat den 2024’er Giro auf ENVE Laufrädern mit einer Maulweite von 25mm und einer Außenbreite von 32mm und 28mm breiten Continental GP5000 Reifen gewonnen. Damit ist die Innenbreite Pogacar’s Felge breiter als Nibali’s Felge vor 10 Jahren außen breit war.

Aktuell werden viele Road Felgen mit einer Innenbreite (auch Maulweite genannt) von 21mm bis 25mm gefahren. Diese sind für  28-32mm Reifen optimiert. Breite Felgen führen zu einem höheren Luftvolumen, was positive Effekte auf den Rollwiderstand hat. Außerdem stützt eine breite Felge einen breiten Reifen besser. Während eine schmale Felge einen breiten Reifen “einklemmt” und damit Glühbirnen-Förmig wird, sitzt ein breiter Reifen stabiler auf einer breiten Felge:

breite und schmale Felgen in Kurvenlage, Quelle: dtswiss.com

So wird ein größerer Teils der Lauffläche zentral von der breiten Felge gestürzt, während der breite Reifen auf der schmalen Felge zur Seite wegwälzt.

Was sind Hookless Felgen

Von Zipp, Enve und anderen Laufrad-Herstellern werden seit einigen Jahren auch Hookless-Felgen angeboten. Diese sind ausschließlich für den Tubeless gebrauch und nur in Ausnahme wie im Pannenfall mit einem Schlauch gefahren werden. 

Hookless Felgen haben keine Haken im Felgenhorn und werden daher auch als Tubeless-Straight-Side (TSS) bezeichnet. Hierbei unbedingt zu beachten ist der Maximaldruck. Reifen sollten niemals auf mehr als 5bar (72psi) auf einer Hookless Felge aufgepumpt werden, da diese sonst drohen, von der Felge zu fliegen. Daher sind Hookless-Felgen erst ab einer Reifenbreite von 28mm oder mehr sinnvoll. Außerdem sollten alle Beschränkungen der Felgen- und Reifenherstellern beachtet werden.

verschiedene Felgenkonstruktionen, Quelle: enve.com

Großer Vorteil von Hookless Felgen ist die stabilere Carbon-Struktur. Daher haben Hookless-Felgen in der MTB-Szene schon viele Fans gefunden, da diese als deutlich stabiler Felgen mit Hook gelten. Da im MTB Bereich grundsätzlich mit deutlich breiteren Reifen bei sehr geringem Druck gefahren wird, sind dort die Nachteile von Hookless Felgen nicht so relevant wie im Rennradbereich.

Wie schon erwähnt gibt es einige Limitationen von Reifen- und Felgenkombinationen. Zum Beispiel gibt die ETRTO (European Tire and Rim Technical Organization) eine mindest Reifenbreite von 29mm für 25mm breite Hookless vor. Währenddessen gibt Continental und ENVE an, dass der 5000S TR in 28mm auch für 25mm breite SES3.4 und SES4.5 Felgen freigegeben ist. 

Hier zu erwähnen ist auch, dass der 5000S TR in 28mm auf der 25mm breiten Felge schon 29,5mm ausfällt, der 30mm breite Reifen fällt 31,5mm breit aus.

Unsere Empfehlung

Am Ende ist die Frage nach dem Optimalen Reifen-Felgen Setup  und Optimalen Druck immer ein Kompromiss. Aber da die meisten den Sport in der Freizeit ausüben und nur die wenigsten auf die beste Performance im Rennen aus sind, empfehlen wir in der Regel den breitesten Reifen, für den dein Fahrrad ausgelegt ist.

Rollwiderstand des gleichen Reifens bei verschiednen Breiten bei gleichem Komfort-level, Quelle: bicyclerollingresistance.com

Um ein letztes Mal Daten zur Hand zur ziehen hier eine Messung des gleichen Reifens in verschiedenen Reifenbreiten. Hier wurde der Luftdruck so angepasst, dass die verschiedenen Reifenbreiten unter gleiche Last auch den gleichen Komfort erreichen. Die Daten wurden in Laborbedingungen auf einer perfekt Runden Stahltrommel erfasst und zeigen fast identischen Rollwiderstand zwischen 23mm, 25mm, 28mm und 32mm Reifen gleicher Bauart.

Testet man diese Reifen nun aber unter realen Bedingungen auf echten Straßen unterscheiden sich die Reifen stark danach, wie groß das Luftvolumen ist und wie schnell der Reifen von Unebenheiten in Sprünge versetzt wird. So ist der breite Reifen in den meisten Fällen der schnellste Reifen, hat den besten Pannenschutz und auch den besten Grip. Bis aufs Gewicht und leichte Nachteile in der Aerodynamik ist ein breiter Tubeless-Reifen bei geringen Druck immer die beste Wahl.